Materialwissenschaft : Zwei Innovationen auf einen Schlag: Altreifen im Beton und eine unzerstörbare Betonwand, die Leben retten kann

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Für die öffentliche Hand bleibt die Qualität und Langlebigkeit von Straßen ein essenzielles Thema, immerhin geht es um viel Geld, dass zur Ausbesserung der Fahrbahn aufgewendet werden muss. Insbesondere der Straßengüterverkehr setzt dem Belag ordentlich zu. Betrug die Güterverkehrsleistung per Lkw rund 1.000 Milliarden Tonnenkilometern im Jahr 1990, stieg sie laut einer Statistik der EU-Kommission auf circa 1.750 Milliarden Tonnenkilometern im Jahr 2015.

Gleichzeitig sind die Rohstoffkosten für herkömmlichen Asphalt, im speziellen für Stoffe zur Asphaltmodifikation, deutlich gestiegen und stehen im Widerspruch zum angestrebten Ziel eines kostengünstigeren Straßenbaus. Alternativideen müssen her. Ein sich klar abzeichnender Bedarf an Hochleistungsbaustoffen für Straßen zur Vermeidung von Spurrinnen und Rissen - und damit zur Einsparung von Instandhaltungskosten - rückt verstärkt ins öffentliche Bewusstsein.

Einen nachhaltigen und zugleich kosteneffizienten Ansatz für Straßenbau verfolgt das Chemieunternehmen Evonik. Mit dem Zusatz des Materials Vestenamer 8012, einem Prozessadditiv für die Gummiindustrie, verarbeitet das Unternehmen Altreifen zu einem gummihaltigen Asphalt. Der wiedergewonnene Werkstoff wird Straßenbaubitumen oder Straßenbauasphalten beigemischt, um die Qualität zu verbessern und die Dauerhaftigkeit von Straßenbelägen zu verlängern.

Längere Haltbarkeit, weniger Lärm

In den USA nutzt man gummihaltige Asphaltmischungen bereits seit vielen Jahrzehnten. „Seit einigen Jahren wächst auch in Europa der Markt für elastomermodifizierten, also gummihaltigen, Straßenbelag“, erklärt Frank Lindner, Senior Business Manager für Vestenamer. Das Gummimehl wird häufig für den offenporigen Asphalt – auch als Flüsterasphalt bekannt – eingesetzt, der zu einer Reduktion des Verkehrslärms führt.

In wissenschaftlichen Studien wurde nachgewiesen, dass der Einsatz von höheren Gummimehlanteilen im Straßenbelag eine Lärmminderung um ein bis zwei Dezibel erzielen kann. Das sei ein großer Erfolg, da bereits eine Reduzierung um drei Dezibel wie die Halbierung des Verkehrsaufkommens empfunden werde.

Altreifen sinnvoll und effizient nutzen

Im Jahr fallen weltweit etwa 19,3 Millionen Tonnen Altreifen an - davon mehr als 3,6 Millionen Tonnen allein in Europa. Vor 20 Jahren wurde allein in Deutschland noch mehr als die Hälfte der anfallenden Altreifen der energetischen Verwertung zugeführt, während nur etwa jeder zehnte Altreifen für die stoffliche Verwertung zu Granulat verarbeitet wurde. Mit der Richtlinie 2008/98/EG haben sich die Mitgliedstaaten auch zur Wiederverwendung von Produkten und zur Förderung eines qualitativ hochwertigen Recyclings verpflichtet.

Ökologisch sinnvoll ist die Nutzung von Altreifen allemal: „Die Reifen werden nicht als Abfall klassifiziert, sondern sind immer noch Wertstoff, der zum Beispiel auch nicht deponiert werden darf“, erklärt Thomas Engenhorst, Manager Sustainability Strategy im Segment Resource Efficiency von Evonik. Somit entfällt die Entsorgungsfrage: „Statt die Reifen zu verbrennen, haben sie einen weiteren Lebensabschnitt im Straßenverkehr vor sich – wenn auch nicht PS-getrieben auf der Straße, sondern als Elastomer bzw. Gummimehl in der Straßendecke.“

Teststrecke bestätigt angeblich Wirkung

Im Rahmen einer Versuchsstrecke in Paderborn wurde in 2012 auf der Detmolder Straße der Straßenbelag erneuert und dabei die Ziele der EU-Abfallrichtlinie verfolgt. 50 Prozent des neuen Asphaltmischgutes bestand aus dem sogenannten Fräsgut - dem Asphaltgranulat - der alten Fahrbahn. Die Erstellung der neuen Mischgutrezeptur erfolgte unter Verwendung von Gummimehl und Vestenamer.

Je 100 Meter Fahrbahn wurden so 80 Altreifen - darunter Pkw- und Lkw Reifen - zu einer elastomermodifizierten Straßendecke verarbeitet und das Recycling alten Asphaltes umgesetzt. Der Einsatz von Vestenamer soll Vorteile bieten: Die Emission von flüchtigen und schwerflüchtigen Verbindungen, darunter Kohlenwasserstoffe und Schwefelverbindungen, fallen bei gummihaltiger Straßendecke geringer aus als bei herkömmlichen, polymermodifizierten Asphaltarten.

Darüber hinaus das Prozessadditiv die Migration organischer Verbindungen reduzieren, die durch Regen ausgewaschen werden und ins Grundwasser gelangen. Damit führt der Einsatz von Vestenamer zu einer geringeren Gesamtbelastung des Grundwassers, wie eine von Evonik in Auftrag gegebene Studie des Forschungsunternehmen Fabes belegen soll. Vestenamer wurde Ende der 1970er-Jahre als Prozesshilfsmittel für die Kautschukindustrie entwickelt. Das Produkt wird neben dem Reifenmarkt in Gummiartikeln wie Schläuchen, Kupplungsbelägen, Walzengummierungen oder Formteilen eingesetzt.

TU Wien forscht an lebensrettender Betonschutzwand

Die Technische Universität Wien kommt mit einer weiteren Innovation auf. Massive Betonschutzwände, sogenannte passive Schutzeinrichtungen, werden oft in der Mitte von Autobahnen errichtet, um ein Durchbrechen von Fahrzeugen auf die Gegenfahrbahn zu verhindern. Das gelingt mit modernen Betonschutzwänden bereits sehr gut, aber beim Aufprall kann nicht ausgeschlossen werden, dass Betonteile absplittern und auf die Gegenfahrbahn geraten. An der TU Wien wurde daher eine besonders zähe Betonmischung entwickelt, die Autobahnen und Schnellstraßen sicherer machen kann, indem sie ein Absplittern von Bruchstücken verhindert. Bei spektakulären Experimenten mit Sattelschleppern und Bussen wurde die Wirksamkeit der neuartigen Betonschutzwände für von der Fahrbahn abkommende Fahrzeuge nun demonstriert.

Zäh, nicht brüchig

„Unser Ziel war es, eine neue Betonsorte zu entwickeln, die hohen dynamischen Belastungen standhält, und nicht spröd und brüchig, sondern zäh und nachgiebig ist“, erklärt Ildiko Merta, Bauingenieurin am Institut für Hochbau und Technologie der TU Wien. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit der Entwicklung und der experimentellen Überprüfung spezieller und nachhaltiger Betonsorten.

„Zunächst haben wir verschiedene Materialmöglichkeiten theoretisch untersucht, einige dieser Ideen haben wir dann umgesetzt und an der TU Wien in Belastungsproben die Eigenschaften der neuartige Betone getestet“, sagt Merta. In Zusammenarbeit mit Projektpartner Deltabloc, einem Entwickler von Fahrzeug-Rückhaltesystemen, wurde ein innovativer Pendelversuch entwickelt, um die dynamische Belastung bei einem Fahrzeug-Anprall im Labor realitätsnah untersuchen zu können.

https://youtu.be/YgrSPeHcdho

Auf genau definierte Weise ließ man eine 150 Kilogramm schwere Last auf die Betonprüfkörper fallen und analysierte ihr Bruchverhalten. Aus den drei vielversprechendsten Betonmischungen wurden dann echte Betonleitwände hergestellt und in Allhaming in Oberösterreich getestet. Dabei konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass selbst ein 38-Tonnen-Sattelschlepper mit 60 km/h oder ein 13-Tonnen-Bus mit einer Anfahrtsgeschwindigkeit von 70 km/h dem Fahrzeug-Rückhaltesystem aus Beton nichts anhaben kann. Das Rückhaltesystem mit der neuen Beton-Formel wurde von Deltabloc bereits in Spanien und Deutschland verbaut, weitere Projekte sind in Arbeit.

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