Interview : Wie die Innenraumkamera den Firmenwagen sicherer macht

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An einem Auto kann so ziemlich alles "intelligent" gemacht werden. Bei FIRMENWAGEN haben wir über schlaue Fahrerassistenzsysteme, Scheinwerfer, Reifen und sogar Bremsbeläge geschrieben, an denen Forscher des Fraunhofer Instituts tüfteln.

Im Kern zielt diese „Intelligenzkur“ auf einen ganz wesentlichen Aspekt ab: die Fahrsicherheit. Gerade in diesen Zeiten wird diesem Thema mehr Aufmerksamkeit geschenkt als jemals zuvor. Grund dafür ist die fortschreitende Automatisierung von Fahrzeugen.

Neben der Sensortechnologie, die in modernen Fahrzeugen fester Bestandteil ist, gibt es ein Entwicklungsfeld, das in der öffentlichen Diskussion weniger Aufmerksamkeit erfährt. Die Rede ist von Fahreranalysesystemen (Driver Monitoring Systems; DMS oder In-Cabin-Monitoring), die mittels Kfz-Innenraumkamera arbeiten.

Fahreranalysesystem aus Wien

Es gibt zum Beispiel eine Volvo-Innenraumkamera, Tesla-Innenraumkamera oder BMW-Innenraumkamera. Doch was nur wenige wissen: Es gibt auch eine Innenraumkamera aus österreichischer Hand, die bereits in Testfahrzeugen namhafter Hersteller zum Einsatz kommt.

Das Wiener Unternehmen "emotion3D" arbeitet seit 2015 mit einer Vision: keine Verkehrstoten und Schwerverletzten mehr durch Verkehrsunfälle. Das Team, das vorrangig aus Softwarespezialisten besteht, hat ein Fahrerüberwachungssystem zur Marktreife geführt, das bereits in Testfahrzeugen von namhaften Automobilzulieferern und Autoherstellern zu finden ist.

"Parallel starten aktuell erste Serienentwicklungen", sagt Benedikt Spannocchi, Head of Business Development bei emotion3D. Es handelt sich um einen steten Prozess: "Wir forschen und entwickeln zusätzlich an weiteren Generationen unserer Analysesysteme."

Schau mir in die Augen, Fahrer

Einigen Menschen dürften die teils absurden Dashcam-Aufnahmen von Unfällen oder Polizeieinsätzen auf YouTube vor Augen haben, wenn sie an Kamerasysteme für Fahrzeuge denken. Während Dashcams das Geschehen auf der Straße, zur Klärung von Unfallhergängen aufzeichnen, sollen DMS helfen, den Innenraum des Fahrzeugs zu analysieren und Rückschlüsse auf das Verhalten des Fahrers zu ziehen.

Benedikt Spannocchi erklärt, wie das System mit Fahrzeuginnenraumkamera funktioniert: "Bei einem DMS wird mittels Innenraumkamera der Status der Fahrerin oder des Fahrers überwacht. Dazu werden die Aufnahmen der Kamera, die sich zumeist im Bereich des Tachometers befindet, mittels Algorithmen in Echtzeit ausgewertet.

Die Algorithmen analysieren verschiedenste Parameter, wie die Kopfposition und -haltung, die Augenöffnung und die Blickrichtung. Diese Parameter werden dann verwendet, um Aussagen über die Aufmerksamkeit des Lenkers zu gewinnen. Im Falle einer Ablenkung oder starken Müdigkeit des Fahrers gibt es Warnsignale, die einen Unfall verhindern sollen."

Datenschutzbedenken ausräumen

Innenraumkameras sollen der Fahrsicherheit dienen, doch viele Menschen haben Bedenken, wenn ständig eine Kamera auf sie gerichtet wird. Gerade wenn es um das Sammeln von Daten geht, besteht ein aversives Verhalten, die Angst vor einer totalen Überwachung steckt tief in uns. Auch emotion3d sieht sich mit diesem Thema konfrontiert.

"Im Falle von DMS in Serienfahrzeugen gibt es klare gesetzliche Regelungen", beruhigt Spannocchi. Und selbst wenn Widerstand besteht, wird das nichts nützen. Im November 2019 hat das EU-Parlament eine neue 'General Safety Regulation' verabschiedet, die innerhalb der nächsten Jahre Fahreranalysesysteme in neuen Fahrzeugen vorschreibt.

Gleichzeitig steht auch in dieser Richtlinie, dass die Systeme der Datenschutzrichtlinie entsprechen müssen und keine Bilder oder personenbezogene Daten das Fahrzeug verlassen dürfen. "Und genau das ist bei unserem System der Fall. Die Bilder werden in Echtzeit direkt im Fahrzeug analysiert und nicht gespeichert", betont Spannocchi.

Fragen an den Experten

FIRMENWAGEN: In den USA sieht die Sache mit dem Datenschutz anders aus als In Europa. Hier wird das Thema von oben locker gesehen - und wenn liegt eine rechtliche Auslegung bei den einzelnen Bundesstaaten. Würde Ihnen eine solche Arbeitsumgebung mehr Entfaltungsmöglichkeiten bieten?

Benedikt Spannocchi: Das ist richtig und deswegen sind wir froh, in einem Europa zu leben, das sich entschieden hat, eine Vorreiterrolle bei diesem Thema einzunehmen. Datenschutz ist ein Grundrecht der europäischen Grundrechtecharta - und das ist richtig so. Unsere unternehmensinternen Standards bezüglich des Datenschutzes sind nicht nur auf Europa begrenzt, sondern gelten weltweit. Schon bei der Entwicklung eines datenreichen Produktes ist es in Europa wichtig, das Thema Datenschutz von Anfang an mitzudenken. Der Aufwand ist aber überschaubar und wir denken, dass eine datenschutzkonforme Vorgehensweise mittelfristig auch eine Unique Selling Proposition sein wird.

FIRMENWAGEN: Das Feld an Fahreranalysesystemen in Firmenfahrzeugen ist österreichweit ausbaufähig. Wie sehen Sie hier die Nachfrage im Fuhrparksegment?

Benedikt Spannocchi: Ich denke, dass das nicht nur in Österreich ausbaufähig ist, sondern weltweit. Hier ist noch einiges an Aufklärungsarbeit notwendig, damit die Benefits solcher Systeme richtig verstanden werden. Zusätzlich müssen Bedenken zum Datenschutz beziehungsweise zum Schutz der Privatsphäre adressiert werden. Es ist vollkommen verständlich, dass Angestellte nicht gerne gefilmt werden.

Wenn man aber die Sicherheitsfunktionen erklärt und verdeutlicht, dass es nicht um Überwachung geht, dann stellt sich meist Verständnis und Wohlwollen gegenüber einer solchen Lösung ein. Da noch kaum ein Firmenwagen mit DMS standardmäßig ausgestattet ist, gibt es Lösungen zum Nachrüsten, die auch wir anbieten können. Diese haben das Potenzial einen großen Teil der Unfälle zu vermeiden, Angestellte zu schützen, Reparaturkosten und Standzeiten zu vermeiden und vielleicht sogar eine billigere Versicherung zu bekommen.

FIRMENWAGEN: Das Home-Office hat bereits vieles verändert und damit auch den Umgang mit der Kamera am eigenen Stand-PC, Laptop oder Smartphone. Wird das möglicherweise auch die Akzeptanz gegenüber Fahreranalysesystemen verändern oder bleibt die Skepsis hier viel länger aufrecht?

Benedikt Spannocchi: Ich denke, wenn die Vorteile und Funktionsweisen der kamerabasierten Innenraumanalysesysteme verstanden werden, wird sich nach und nach Akzeptanz einstellen. Wie Sie ganz richtig sagen, sind wir heute schon rund um die Uhr von Kameras umgeben – und dass in unserem privatesten Umfeld. Smartphone- und Laptopkameras können besonders leicht gehackt werden, trotzdem sind sie in fast allen Haushalten zum Standard geworden. DMS speichern keine Bilder und sind ungleich schwerer zu hacken. Unserer Meinung nach werden sie in einigen Jahren ähnlich breite Akzeptanz genießen wie Smartphones und Laptops.

FIRMENWAGEN: Wie sieht Ihrer persönlichen Meinung nach die Fahrzeugflotte der Zukunft aus?

Benedikt Spannocchi: Kurzum: Sie wird sicherer. Es wird nicht lange dauern, da werden die meisten Flotten mit DMS ausgestattet sein – das ist sicher der schnellste Weg, die Sicherheit auch in bestehenden Flotten zu erhöhen, da die Technologie schon ausgereift und verfügbar ist. Natürlich wird man dann, so wie bei Privatfahrzeugen, ebenfalls die verschiedenen Stufen des automatisierten Fahrens durchschreiten. Ich denke, spannend wird es dann, wenn die Fahrzeuge vollautonom unterwegs sind und für ganz neue Geschäftsmodelle eingesetzt werden. Ich bezweifle aber fest, dass die meisten Unternehmen dann noch ihre eigene Flotte besitzen werden.

FIRMENWAGEN: Herzlichen Dank für das Gespräch.