Historie : Von Ästhetik und Straßenschmutz
Falscher Doppelrohrauspuff, Lufthutzenattrappe usw.: Die Liste ließe sich fast belieb fortsetzen. Derartige Tuningteile dienen zwar nur der Zierde, haben für einige Autoliebhaber aber einen subjektiv hohen Stellenwert. Andere Fahrzeugteile wie der Scheibenwischer fristen eine undankbare Randexistenz, trotz der großen Bedeutung für die Sicherheit im Straßenverkehr. Doch der Kotflügel könnte es von allen nicht undankbarer haben. Es geht bereits beim Namen los.
Analyse des Straßenschmutzes
"Kot" bedeutet ursprünglich "Dreck, Schmutz" und wird auch mit menschlichen "Fäkalien" gleichgesetzt. Etwas Positives assoziieren wir also nicht gerade mit diesem Wort. Bevor entsprechende Hygienemaßnahmen ergriffen wurden, entleerten die Bürger ihren Unrat einfach auf die Straßen. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts untersucht der englische Chemiker Dr. Henry Letheby den Londoner Straßenschmutz: Der besteht längst nicht nur aus Pferdemist.
Allein 30 Prozent des Schmutzes macht der Steinabrieb vom Straßenpflaster aus, weitere zehn Prozent sind Metallpartikel von Radreifen und Hufeisen. Die Straßen selbst und die Fahrzeuge produzieren also einen Großteil jenes Staubs, der sich bei schlechtem Wetter in Schlamm verwandelt. Auch sie sorgten für die ein oder andere Hinterlassenschaft auf dem Pflasterstein. Noch deutlicher tritt das Problem auf Landstraßen auf. Anders als in der Stadt gibt es über Land nur wenige gepflasterte Strecken, vorherrschend sind Fahrwege aus verdichtetem Schotter mit Oberflächen aus Sand und Kies.
Kotflügel zierten frühe Automobile
Der Sinn von Abdeckungen, die zunächst über den Rädern von Kutschen angebracht wurden, bestand darin, dass eben dieser "Straßenkot" nicht direkt auf das Fahrzeug oder gar in den Innenraum der Kutsche geschleudert wurde und auf diese Weise die Insassen beschmutzen konnte. Ebenso wird eine unnötig große Aufwirbelung von Wasser von der Fahrbahnoberfläche verhindert, die nachfolgende Verkehrsteilnehmer in der Sicht behindern könnte.
Von den Pferdekutschen übernehmen frühe Automobile dann die Kotflügel. Über den Rädern der ersten Automobile wölben sich noch schmale Bänder aus Blech oder Holz. Sie erinnern eher an das wackelige Schutzblech von Fahrrädern. Wegen ihrer eleganten, an Vogelschwingen erinnernden Form werden sie "Flügel" genannt. Später wurde aus dem Kotflügel dann ein mit der Bodengruppe verbundenes aus Aluminium gepresstes Karosserieteil.
Aerodynamik gewinnt an Bedeutung
Bei modernen Fahrzeugen ist das ohnehin eher unscheinbare Bauteil konstruktiv in den Hintergrund gerückt worden. Räder dürfen nicht aus der Karosserie hervorstehen oder müssen eine Abdeckung aufweisen. Doch es gab Zeiten, wo das gänzlich anders war: Mit den 1930er Jahren wandten sich Autoingenieure verstärkt dem Thema der Aerodynamik zu.
Durch eine bessere Stromlinienform kann der Luftwiderstand und in weiterer Folge auch der Kraftstoffverbrauch eines Fahrzeugs gesenkt werden. Die Überlegungen schlugen sich allmählich im Automobildesign wieder. Mit breiter werdenden Rädern wuchsen auch die Kotflügel. Daraufhin entstanden stark geschwungene, ausladende Kotflügel, in die Scheinwerfer - in weiterer Folge auch Blinker - integriert wurden.
Trotzdem haben die Autos bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges erst langsam in die Kotflügel integrierte Lampen. Der Kotflügel wird als Teil eines aerodynamischen Fahrzeugbaus verstanden, und diente nicht allein der Abwehr von Dreck und Schmutz beziehungsweise dem Schutz anderer Straßenteilnehmer vor den Drehbewegungen der Räder. Lange Motorhauben, gerundete Kühlerformen und eine abfallend-buckelige Rückenlinie trugen zur Verbesserung der Aerodynamik bei. Von kastenförmigen Fahrzeugen, wie sie in den 1920er produziert wurden, verabschiedete sich die Automobilindustrie.
Technologietransfer bringt Ganzstahlkarosserie
In den 1930er Jahren trug auch die US-amerikanische Großblechpresstechnik dazu bei, dass in Europa Fahrzeuge mit Ganzstahlkarosserie entstanden. Autobauer wie Ford setzten auf diese Technologie. Die Konstruktion wurde selbsttragend. Das bedeutet, dass die Bodengruppe neben den tragenden Teilen wie Motorträger, Längsträger, Querträger auch Kofferraumboden und Radkästen umfasst. Im Sinne des Fordismus sparte dies in der Herstellung Kosten und Zeit.
Die Serienproduktion kam nun richtig in Fahrt. Inzwischen hatte sich auch die Lackchemie weiterentwickelt. Die ersten neu konzipierten Modelle beziehen die Kotflügel in die Motorhaube ein und ermöglichen gleichzeitig deutlich mehr Innenraum ("Pontonkarosserie"). Moderne Fahrbahnen machen den Kotflügel aber längst nicht überflüssig - ganz im Gegenteil, denn auf den neuen und ebenen Straßen können Autos im Alltag schneller fahren als je zuvor. Und mit steigendem Tempo schleudern die Reifen umso stärker Nässe und Staub auf.
Seine langgezogenen Linien, dynamischen Kurven und expressiven Wölbungen erzählen von der Geschwindigkeit und Ästhetik des temporeichen Fahrens. So sind zum Beispiel die von Mercedes-Benz hergestellten schönsten Karosserien jener Zeit weit entfernt vom nüchternen Grundgedanken des Kotflügels als Spritzblech. Sie lassen das Automobil mehr denn je ein Kunstwerk sein. Der Kotflügel, früher freistehendes Element, wird in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts endgültig in die Karosserie integriert.
Seine Gestaltung ist dennoch variantenreicher als je zuvor: zum Beispiel vom Radhaus mit frechem Lidstrich beim Mercedes-Benz 300 SL (W 198) und 190 SL (W 121) aus dem Jahr 1954 über die elegant den nordamerikanischen Zeitgeist aufgreifenden Peilstege der „Heckflossen“-Limousinen bis zu den glattflächigen Formen der klassisch-modernen Kompaktklasse der Baureihe W 201 reicht das Portfolio der Stilisten.
Motorsport kommt ohne Kotflügel aus
Der Kotflügel entwickelt sich bei Personenwagen und Nutzfahrzeugen ständig weiter. Dass die Aerodynamik bei dieser Evolution eine zunehmende wichtige Rolle spielte beweist das strömungsoptimierte Design von Fahrzeugen wie dem Mercedes-Benz 540 K Stromlinienwagen oder dem Mercedes-Benz 320 "Autobahnkurier" mit fließendem Formverlauf. Beide Fahrzeuge haben freilich noch klar von der Karosserie abgegrenzte Kotflügel. Ab den 1950er-Jahren hält mit den modernen Mercedes-Benz Personenwagen die Pontonform Einzug. Beginnend mit den Nutzfahrzeugen folgt in den 1960er-Jahren mit dem kubischen Design eine neue Formensprache.
Viele Rennwagen und insbesondere Formel-Rennfahrzeuge haben bis heute meist freistehende Räder, damit der Motorsportler Kurven exakt anpeilen kann. Der Mercedes-Benz W 196 R aus den Jahren 1954/1955 geht da einen anderen Weg: Dieses Formel-1-Fahrzeug gibt es sowohl mit freistehenden Rädern als auch mit einer über die Räder reichenden Stromlinienkarosserie, die freilich über den Vorderrädern akzentuiert ist. Je nach Rennstrecke spielt die Rennabteilung die besondere Stärke der besseren Aerodynamik aus.