Historie : Leonardo da Vinci und das Automobil

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Leonardo da Vinci gilt als Universalgenie seiner Zeit – und darüber hinaus. Kaum jemand kennt seinen Namen nicht. Vor genau 500 Jahren starb der Universalgebildete, der als Erfinder der modernen Wissenschaft in diesem Jahr gefeiert wird. Dabei ist da Vinci nicht nur für das berühmteste Gemälde der Welt bekannt, die Mona Lisa im Louvre, sondern auch für erstaunliche Entwürfe und Skizzen: Ein Beispiel ist der „Vitruvianische Mensch“.

Sein Interesse galt der Bewegung

Darüber hinaus war der findige Tüftler Mathematiker und botanischer Forscher, Architekt und Kriegsmaschinenerfinder. Selbst wenn er sich nicht als solches inszenierte. Skizzen von einem frühen Panzerwagen dürften vielleicht einigen geläufig sein, sein Interesse galt aber auch einem frühen selbst angetriebenen Automobil. Doch damit nicht genug: Streitwagen, ein Fuhrwerk für den Transport gewaltiger Glocken und eines für Kanonen, Karren mit Lenksystem und nicht zuletzt seine Hodometer, ein Gefährt zur mechanischen Wegmessung, zählen zu seinem Portfolio, wie Wissenschaftsautor Matthias Eckoldt in seinem Buch „Leonardos Erbe“ aufzählt. Es gibt sogar Skizzen von einer Vorrichtung, die an ein Getriebe erinnern. „Leonardo ist in einer Zeit tätig gewesen, in der man anfing, die Welt in Bewegung zu verstehen“, erklärte Naturwissenschaftler Ernst Peter Fischer im Interview mit "Deutschlandfunk".

Vor der Renaissance galt die Welt als etwas „unbewegliches“, festes. Nun aber versuchte man die bis dahin bestehenden Muster zu hinterfragen und gegebenenfalls aufzubrechen. Es kam allmählich Schwung in die Sache und da Vinci sah diese Bewegung nicht nur, sondern wollte sie auch künstlerisch festhalten. Das wird auch auf dem Papier ersichtlich. „Selbst in einer Linie, die auf dem Blatt war, da sah er die Bewegung, die die Linie gemacht hat.

Bewegung heißt auch, dass man natürlich versuchen musste, zu verstehen, was die Bewegung veranlasste, wer dahinterstand“, sagt Fischer. Vermutlich würde da Vinci heute Filme und Videos machen. „Das war ja technisch nicht möglich, also hat er die Zeichnungen so gemacht, dass man gewissermaßen die Bewegung sehen kann. Dadurch hat er insgesamt eine ganz andere, neuartige dynamische Wahrnehmung des Lebens oder der Welt erfunden oder vorgestellt“, so Fischer.

Werdeprozess statt Stillstand

"Da Vinci beginnt, die Welt dynamisch zu sehen und er beginnt auch, gewissermaßen in die Zukunft zu blicken, entwirft zukünftige Modelle, Maschinen für die Zukunft, entwirft Städte für die Zukunft. Dieser Blick in die Zukunft ist eigentlich das ganze Neue", sagt Fischer. Der Entwurf seines Automobils fällt noch in seine Zeit bei Andrea del Verrocchio, bei welchem da Vinci seine Lehrjahre absolviert hatte. Etwa 1478 zeichnet der 26-Jährige da Vinci einen Apparat mit vier Rädern, schreibt Eckoldt in seinem Buch.

„Die Räder sind nicht etwa in geläufiger Weise paarig angeordnet, vielmehr handelt es sich bei dem skizzierten Objekt um ein Dreirad, dem ein viertes, an einer Stange befestigtes Rad nachläuft. Es soll offensichtlich der Lenkung des Wagens dienen. An den Antriebsrädern greift wiederum ein Stockgetriebe an, das mit Zahnrädern in Verbindung steht. Auf demselben Folio liefert Leonardo noch eine Draufsicht. Hier fallen zwei große Zahnräder ins Auge sowie verschiedene Federn, die in dem exakt quadratischen Gestell verankert sind.“ Über die exakte Funktionsweise werden aber Spekulationen betrieben.

Entwürfe bleiben Entwürfe

So gewieft da Vinci künstlerisch auch gewesen ist und sein Verständnis für mechanische Anläufe groß war: Eckoldt muss in seinem Buch den Schluss ziehen, dass wohl leider keiner seiner automobilen Entwürfe in der Praxis funktionstüchtig gewesen wäre. „Es ist unmittelbar einsichtig, dass die Blattfedern auf Leonardo da Vincis Skizze den Wagen nicht antreiben können.

Weder jene, die über die beiden großen Zahnräder laufen, noch die im hinteren Teil durch Seile oder Spanngummis über Kreuz miteinander verbundenen. Da die Federn entweder an den beiden kleinen oder den zwei großen Zahnrädern anliegen, können sie im besten Fall den Lauf des Automobils hemmen, aber es in Fahrt zu bringen vermögen sie nicht", schreibt Eckoldt. Erst in den 90er Jahren wird ein entsprechendes Computermodell angefertigt. Im Jahr 2004 wird ein Modell angefertigt, das sogar ein paar Meter zurücklegen kann.

Die Blattfedern sorgen dafür, dass die Energie gleichmäßig abgeben wird und das Fahrzeug nicht nur einen einzigen Satz nach vorne macht. Der Wirkungsgrad der Maschine wird dadurch aber gehemmt. Eckholdt stellt einen Vergleich mit einer permanent angezogenen Handbremse an, die dazu dient, die Geschwindigkeit zu regulieren.

Mussolini schuf Kult um da Vinci

Der italienische Diktator Mussolini entfachte einen regelrechten Kult um da Vincis Schaffen, der von seinen Anhängern entsprechend angenommen wurde. So auch die Behauptung, Leonardo da Vinci habe den „Differenzialmechanismus“ erfunden. „Diese Legende wird dank faschistischer Propaganda ungesehen geglaubt und eifrig weiterverbreitet“ schreibt Eckoldt in seinem Buch.

Wie der Name vermuten lässt, dient es dem Ausgleich von Drehzahlunterschieden an den Antriebsrädern. Hintergrund ist, dass sich die Räder einer Achse nur bei der Geradeausfahrt gleich schnell drehen, aber nicht in Kurvensituationen. Denn dann legt das äußere Rad eine längere Strecke zurück als das Kurveninnere. Auch verschiedene Straßenoberflächen rufen Wegunterschiede hervor. Das Differenzialgetriebe (auch Ausgleichgetriebe) sorgte für eine gleichmäßige Verteilung der Raddrehzahlen an die Antriebsräder des Fahrzeugs. Heute sorgen Ausgleichskegelräder dafür, dass Drehzahlunterschiede zwischen dem linken und rechten Achswellenrad ausgeglichen werden.

Was heute Usus ist, sorgte in frühen Tagen für Kopfzerbrechen. „Die frühen Autoingenieure behelfen sich, indem sie den Antrieb nur auf ein Rad übertragen. Diese Lösung erweist sich jedoch als unbefriedigend, da die Bodenhaftung und die Abnutzung der Reifen unterschiedlich sind“ schreibt Eckoldt hierzu.

Da Vinci wusste von allem dem aber nichts, denn er hatte keine Ahnung von den raffinierten technischen Mechanismen eines Ausgleichgetriebes. Seine Entwürfe berücksichtigten keine derartige Technik. „Wahrscheinlich gehört seine Skizze, die im 20. Jahrhundert als Entwurf eines selbstbewegenden Fahrzeugs interpretiert wird, zu einer Reihe von Studien, die er in Verrocchios Werkstatt durchführt, um das Ingenieurswissen seiner Zeit zu erfassen“, vermutet Eckoldt.

Kurzum: Gilt da Vinci zwar nicht als "der" Erfinder des Automobils oder anderer Fahrzeugkomponenten, tut dies seinem Einfallsreichtum keinesfalls Abbruch. Er ließ sich durch frühere Entwürfe anderer inspirieren, die bereits mehrere Jahre vor da Vincis Zeit in der Literatur beschrieben worden sind. „Zu seinen Vorlagen gehören unter anderem die Werke des eine Generation älteren Francesco di Giorgio Martini sowie die des »Archimedes von Sienna“, merkt Eckoldt in seinem Buch an.

Durch die freie künstlerische Interpretation da Vincis trat die tatsächliche Funktionsweise seiner automobilen Entwürfe in den Hintergrund. Das darf ihm verziehen werden, denn Fantasie und Kreativität zählten ohnehin vielmehr zu den Stärken des berühmten toskanischen Künstlers aus der Renaissance, für die er noch heute geschätzt wird.