Coronavirus : Atemschutzmasken statt Fahrzeugteile
Nach der Reihe halten die Produktionsbänder der Automobilhersteller an, die Werke schalten auf Kurzarbeit-Modus oder schließen mit Befristung. Der Grund ist wohl jedem zur Genüge bekannt, das Coronavirus hat auch die Autoindustrie fest in der Hand. Globale Lieferketten funktionieren nicht mehr wie gewohnt, Fahrzeugteile fehlen und die empfindliche Just-In-Time-Produktion wird besonders hart betroffen.
Langweilig dürfte den Herstellern dennoch nicht werden, zahlreiche namhafte Autobauer bieten nun ihre Expertise an, arbeiten in Konsortien mit anderen Branchen zusammen und greifen dabei auf ihr Know-how mit dem 3D-Drucker zurück. Bis dato wurden maßgefertigte Komponenten für den Fahrzeugbau gedruckt - nun aber macht es die Corona-Krise erforderlich, dass etwa Krankhäuser, Einsatzkräfte und andere Helfer mit zusätzlichen Atemschutzmasken versorgt werden. Für die gute Sache bietet die Autoindustrie nicht nur ihr Fachwissen, sondern auch die entsprechenden Kapazitäten an, um dieses Ziel hoffentlich rasch zu verwirklichen.
Masken für den guten Zweck
Da wäre zum Beispiel der FCA-Konzern, der in einem seiner italienischen Produktionswerke Atemschutzmasken herstellen will. Konzern-Chef Mike Manley setzte seine Angestellten darüber bereits am Montag in Kenntnis, wie die Gewerkschaften berichteten. Ziel sei es, mehr als eine Million Gesichtsmasken pro Monat zu produzieren.
Die ersten Masken sollen Sanitätern und anderen Helfern geschenkt werden. Die FCA-Tochter Ferrari arbeitet darüber hinaus mit dem italienischen Unternehmen "Siare Engineering" zusammen, das auf die Herstellung von Beatmungs- und Wiederbelebungsgeräten spezialisiert ist. Eine Rolle könnte auch Automobilzulieferer Magneti Marelli spielen.
Als denkbare Optionen käme eine Unterstützung von Siare bei der Erweiterung der Kapazitäten durch Ingenieure von Fiat Chrysler und Ferrari infrage. Aber auch die Auslagerung der Produktion von Bauteilen für Beatmungsmaschinen an die beiden Autobauer.
"Wir helfen Siare Engineering dabei, seine Produktivität zu verdoppeln", sagte FCA-Chef Manley. "Präzisionsfräsen und die 3D-Drucktechnik könnten bei der Herstellung komplexer Teile helfen", erklärte Rene-Christopher Wollmann, Programm- und Plattformleiter beim Autodesigner Pininfarina.
Das hänge davon ab, wie viel Fachwissen die Medizintechnikhersteller über das Design eines solchen Geräts preisgeben. Eine weitere Hürde werde die Montage solcher Maschinen unter Bedingungen sein, die für die medizinische Industrie angemessen sei.
Gerade Italien ist auf Atemschutzmasken und anderes medizinisches Equipment angewiesen. Nach China gilt das europäische Land nun als Epizentrum der Pandemie mit zahlreichen Toten, die inzwischen an der Lungenkrankheit gestorben sind.
Während sich der Konzern Gedanken über die Herstellung von Atemschutzmasken macht, wird in den italienischen FCA-Fabriken Melfi, Pomigliano, Cassino, Mirafiori, Grugliasco und Modena bis vorerst 27. März die Arbeit stillstehen.
Die Automobilproduktion im serbischen Kragujevac und im polnischen Werk Tychy würden ebenfalls geschlossen. Die vorübergehende Aussetzung ermögliche es dem Autobauer, auf die gesunkene Pkw-Nachfrage effektiv zu reagieren.
Prototypen sind im Umlauf
Im Kampf gegen das Coronavirus werden noch andere Autohersteller kreativ und bieten unter anderem ihr technisches Know-how an. In Großbritannien hat ein Konsortium aus Luxuswagenbauer McLaren, Luftfahrt-Spezialisten Meggitt und Nissan erste Prototypen präsentiert, die für Krankenhäuser ab Ende nächster Woche verwendet werden könnten. Mit an Bord ist auch der europäische Flugzeugbauer Airbus, der sich um die Bereitstellung der Einrichtungen kümmert.
Erst am Montag verhängte Boris Johnson eine dreiwöchige Ausgangssperre für die Briten. Dem britischen Regierungschef wird vorgehalten, den pandemischen Virus nicht ernst genommen zu haben - es galt das Credo der „Herden-Immunität“. Nun rückte die Insel von diesem Plan aber wieder ab, da die Zahlen bei Neuinfektionen rasant im Steigen sind und immer mehr Todesfälle verzeichnet werden.
Notfall-Beatmungsgerät von Seat
Neben Italien, den USA oder Großbritannien wird auch in Spanien mit Hochdruck an zusätzlichem medizinischem Equipment gearbeitet. Hier hat sich ein Konsortium aus Seat und Druckerhersteller Hewlett-Packard zusammengefunden, dass sich der wichtigen Angelegenheit annimmt.
In Zeiten der Corona-Krise sind nicht nur Atemschutzmasken, sondern auch Beatmungsgeräte in betroffenen Ländern Mangelware. Am vergangenen Sonntag konnte bereits ein erstes aus dem 3D-Drucker stammendes Beatmungsgerät vorgestellt werden. Neben Seat setzt sich das Konsortium unter anderem aus Druckerhersteller Hewlett-Packard und dem Technologiezentrum Leitat zusammen. Die Beatmungsmaschine wurde aus einem Scheibenwischermotor und Teilen aus dem 3D-Drucker gebastelt.
Es handelt sich um ein Notfallgerät, das den Patienten für eine kurze Zeitspanne beim Atmen hilft. Bereits in dieser Woche soll die Produktionskapazität zwischen 50 und 100 Einheiten pro Tag erreichen können, berichten spanische Medien. Inzwischen soll sich auch Renault eingeschalten und Vorschläge zur Verbesserung des Geräts vorgebracht haben.
Auch der Volkswagen-Konzern will 3D-Drucker bereitstellen. Zum jetzigen Zeitpunkt sei für die Wolfsburger aber noch unklar, wer die Produktion von Bauteilen für Beatmungsgeräte überhaupt koordinieren wird. Auch BMW sieht sich in einer „gesellschaftlichen Pflicht“ und hatte erklärt, dass es denkbar wäre, die Produktion von Komponententeilen für solche Geräte mit 3D-Druckern zu übernehmen.
Indes forderte US-Präsident Trump General Motors und Ford dazu auf, ihre Infrastruktur für die Fertigung medizinischen Equipments bereitzustellen. Ford-Chef Jim Hackett kündigte vor Mitarbeitern an, der Konzern sei zum Bau von Beatmungsgeräten bereit. GM-Chef Mary Barra sprach über das Thema mit Trumps Wirtschaftsberater Larry Kudlow. Hatte Tesla-Chef Elon Musk noch an der Gefährlichkeit des Coronavirus gezweifelt, verkündete dieser nun auf Twitter, noch in dieser Woche 1200 Beatmungsgeräte ausliefern zu wollen.
Medizinische Standards einhalten
Experten bremsen allerdings die Hoffnungen, dass die Autohersteller ihre Produktion ohne weiteres umstellen können. Die Medizintechnik unterliegt in Deutschland (und Österreich) hohen Standards und muss strenge regulatorische Vorgaben erfüllen.
"Es handelt sich bei den meisten Materialien um speziell entwickeltes Design und keine Standardbauteile", gibt das Lübecker Medizintechnikunternehmen Drägerwerk zu bedenken, das zu den führenden Herstellern von Beatmungsmaschinen zählt.