Abgasskandal : Warum deutsche Anwaltskanzleien derzeit kräftig die Werbetrommel rühren
Im Normalfall halten sich Anwälte und Kanzleien mit Werbung, vor allem im Fernsehen, eher zurück. Das Leistungsangebot von Anwälten richtet sich gezielt an bestimmte Personen im Bedarfsfall und wird in der Regel nicht großflächig beworben.
Dass Anwaltskanzleien in Deutschland nun regelrechte PR-Offensiven starten, hat einen anderen Grund: der Abgasskandal. Schadensersatzansprüche können nur mehr bis Ende des Jahres geltend gemacht werden, danach greift die Verjährungsfrist. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass die Verjährung drei Jahre nach Bekanntwerden des Diesel-Skandals eintritt.
Für Karsten Kilian, der als Markenexperte universitäre Vorträge hält und zahlreiche Fachartikel publiziert hat, ist es ein berechtigtes Verhalten, darauf in Werbespots hinzuweisen, schließlich geht es um 2,8 Millionen betroffene VW-Modelle. „Geht man davon aus, dass hinter jedem Dieselauto im Schnitt zwei Personen stehen, so sind immerhin sieben Prozent der Deutschen davon betroffen“, rechnet Kilian vor. In Summe ist die Werbung somit für geschätzt zehn Prozent der Bevölkerung interessant. Dafür lohnt es sich, einen eigenen Spot zu erstellen und Geld für die mediale Ausstrahlung zu investieren.
„Dieselfahrern bleibt nur eine Möglichkeit, nämlich so schnell wie möglich den Klageweg gegen den Hersteller zu beschreiten“, empfiehlt der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum. Er hat schon vor einem Jahr mit seinem Anwaltsbüro angekündigt, im Namen der Kunden „im Sammelverfahren“ auf Schadenersatz zu klagen. Der neue Anwalts-Spot kommt von seiner Kanzlei.
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Kläger und Kanzleien warten zudem auf den November. Denn dann gibt es die Erlaubnis von Musterfeststellungsklagen: Kunden können sich zusammenschließen, um ein Unternehmen zu verklagen. „Sind, wie beim VW-Dieselskandal, ausreichend viele Privatpersonen von einem Schaden betroffen, macht es Sinn, breit für die rechtlichen Möglichkeiten der Verbraucher zu werben“, erklärt Kilian.
Konsumentenschutz legt rechtlich gegen VW nach
Bereits vor drei Monaten hat der Verein für Konsumentenschutz (VKI) in Österreich im Auftrag des Sozialministeriums den Volkswagen-Konzern geklagt. Dabei geht es um fälschlich getätigte Aussagen zu Software-Updates, die gegenüber Kunden gemacht wurden. Der VW-Konzern versicherte mehrfach, dass durch das bereitgestellte Software-Update keine Nachteile entstehen würden. Zu einem anderen Ergebnis würde eine Umfrage des VKI kommen: Rund 43 Prozent der befragten Konsumenten stellten nach der Umrüstung negative Veränderungen wie erhöhten Kraftstoffverbrauch, Leistungseinbrüche und ein deutlich spürbares “Ruckeln” des Motors fest.
Demnach haben sich die Verdachtsmomente zu nachteiligen Veränderungen beim Drehmoment verdichtet. Die Klage wurde daher laut VKI ausgedehnt. Vergangene Woche kam es zu ersten Verhandlungen beim Handelsgericht Wien. „Wie sich zuletzt gezeigt hat, können nur Gerichtsentscheidungen Autokonzerne dazu bewegen, zu ihrer Verantwortung im Dieselskandal zu stehen. Wirksame Rechtsdurchsetzungsmechanismen für Verbraucher sind damit alternativlos“, meint Thomas Hirmke, Leiter Bereich Recht im VKI.
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