Recht : Dieselskandal: So kommen Sie zu Ihrem Recht
FIRMENWAGEN: Goldenstein & Partner war beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe am Abgasskandal-Urteil beteiligt, ein Präzedenzfall wurde geschaffen. Könnten Sie den konkreten Fall kurz erläutern, um den es dabei ging?
Claus Goldenstein: In dem Fall ging es um die Rückabwicklung eines manipulierten VW Sharan mit einem Dieselmotor des Typs EA 189. Der Pkw wurde im Jahr 2014 als Gebrauchtwagen bei einem freien Händler in Deutschland gekauft. Unser Mandant, der sein gesamtes Leben über nur Volkswagen-Fahrzeuge fuhr, hat sich damals bewusst ein umweltfreundliches Fahrzeug gekauft. Als er 2016 erfahren hat, dass sein Pkw tatsächlich gar nicht so sauber war, fühlte er sich betrogen. Aufgrund des hohen Wertverlustes durch den Dieselskandal wollte er den Pkw nicht verkaufen. Das Fahrzeug zu behalten, war für ihn jedoch auch keine Option, da er Angst vor möglichen Fahrverboten hatte. Also entschied er sich dafür, juristisch gegen Volkswagen vorzugehen. Sein Ziel war es, den Pkw gegen die Zahlung einer Entschädigung an Volkswagen zurückzugeben. Dabei standen wir ihm als Rechtsanwaltskanzlei stets zur Seite.
Im Juni 2019 sprach das Oberlandesgericht Koblenz unserem Mandanten eine Entschädigung für die Rückgabe seines manipulierten Fahrzeugs zu. Dieses Urteil bestätigte der Bundesgerichtshof im Mai 2020 und verurteilte Volkswagen wegen bewusst sittenwidriger Handlung. Zu diesem Zeitpunkt war es das erste Dieselskandal-Urteil des deutschen Bundesgerichtshof. Ein Präzedenzfall, der sämtlichen Haltern von manipulierten VW-Fahrzeugen zu Rechtssicherheit verhalf. In Zukunft werden sich nämlich alle deutschen Gerichte an dieser Entscheidung orientieren. Mittlerweile hat Volkswagen unserem Mandanten die volle Entschädigungssumme überwiesen. Insgesamt erhielt er 29.805,32 Euro für sein Fahrzeug, obwohl er dieses vor knapp sechs Jahren für nur 1.700 Euro mehr gekauft und seitdem rund 50.000 Kilometer genutzt hat. Vergleichbare Modelle werden auf dem Gebrauchtwagenmarkt aktuell für gerade einmal rund 18.000 Euro gehandelt.
FIRMENWAGEN: Zahlreiche Käufer schließen sich einer Musterfeststellungsklage an, um mit vereinten Kräften ihr Geld zurückzubekommen. Ist nicht mehr zu holen, als lediglich ein prozentueller Anteil des ehemaligen Anschaffungspreises?
Claus Goldenstein: Die Musterfeststellungsklage in Deutschland war ein Versuch, die Rechte von hunderttausenden Verbrauchern gleichzeitig durchzusetzen. Als erfolgreiches Pilotprojekt kann man die Sammelklage jedoch nicht bezeichnen. Volkswagen einigte sich im Frühjahr nach einer kleinen öffentlichen Schlammschlacht auf einen Vergleich mit den Initiatoren der Klage. Jeder berechtigte Teilnehmer der Musterfeststellungsklage sollte etwa 15 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises erhalten – durchschnittlich 3200 Euro pro Pkw. Dafür mussten diejenigen, die das Angebot angenommen haben, jedoch auf weitere Rechtsansprüche verzichten und den manipulierten Pkw behalten. Für einige VW-Halter, zum Beispiel gewerbliche Kunden, galt das Angebot nicht.
Spätestens seit dem Urteil des Bundesgerichtshof ist jedoch klar: Für die Mehrzahl der Sammelkläger wären deutlich höhere Entschädigungssummen möglich gewesen. Wer das Angebot angenommen hat, hat also keinen guten Deal gemacht. Tatsächlich hätten betroffene Fahrzeughalter ihre manipulierten Pkw nämlich nicht behalten müssen und Entschädigungen in Höhe von mehreren Zehntausend Euro durchsetzen können. Volkswagen hat das natürlich schon geahnt und das Vergleichsangebot deshalb unmittelbar vor dem BGH-Termin unterbreitet. Tatsächlich erhalten unsere Mandanten nicht selten mehrere Zehntausend Euro als Schadensersatz.
FIRMENWAGEN: Wie sieht die Situation für geschädigte Käufer aus Österreich und was können beziehungsweise sollten diese tun, um eine möglichst hohe Entschädigung zu erhalten?
Claus Goldenstein: In Österreich herrscht bislang – anders als in Deutschland – noch keine Rechtssicherheit in der Sache. Die obersten Richter haben sich in Österreich noch nicht mit dem Thema Schadensersatz im Dieselskandal befasst. Wann das geschehen wird, ist aktuell nicht abzusehen. Österreicher haben jedoch die Möglichkeit, ihre Rechte am deutschen Gerichtsstand von Volkswagen durchzusetzen – in Braunschweig. Das ist seit unserem BGH-Urteil quasi risikofrei möglich und auch sinnvoll: Die bisher zurückgelegte Fahrstrecke reduziert nämlich den Entschädigungsanspruch. Heißt: Mit jedem gefahrenen Kilometer des jeweiligen Pkw sinkt der mögliche Schadensersatz.
Für Österreicher ergibt es daher keinen Sinn, auf ein Grundsatzurteil des Obersten Gerichthof zu warten. Sonst besteht im schlimmsten Fall gar kein Entschädigungsanspruch mehr. Wir sprechen immerhin von Fahrzeugen, die teilweise vor zehn Jahren zugelassen wurden. Wir raten österreichischen Haltern daher dazu, von der deutschen Rechtsprechung zu profitieren, indem sie ihre Rechte in Deutschland durchsetzen. Gemeinsam mit unseren Partern haben wir diesbezüglich Möglichkeiten geschaffen, durch die jeder Österreicher seinen Anspruch ohne Kostenrisiko geltend machen kann. Beispielsweise finanziert unser Prozesskostenfinanzierer Verfahren von VW-Haltern ohne Rechtsschutzversicherung für eine geringe Provision, die nur im Erfolgsfall fällig wird.
FIRMENWAGEN: Mit wie vielen Einzelmandaten aus Österreich ziehen Sie aktuell gegen die Wolfsburg AG vor Gericht und wie viele sind es eigentlich insgesamt? Beziehungsweise mit wie vielen Neuzugängen ist noch in diesem Jahr zu rechnen und wie viele Fälle wurden bisher entschädigt?
Claus Goldenstein: Insgesamt vertreten wir die Rechte von mehr als 21.000 Mandanten im Dieselskandal. Aktuell haben wir rund 1.800 Mandanten aus Österreich und wir erhalten täglich zahlreiche Anfragen von österreichischen VW-Haltern. Aufgrund dieser hohen Nachfrage haben wir kürzlich sogar einen Standort in Innsbruck eröffnet. Da wir die Rechte von Österreichern erst seit einigen Wochen vertreten, rechnen wir diesbezüglich zeitnah mit den ersten erfolgreichen Verfahrensabschlüssen. Für deutsche Mandanten haben wir natürlich schon tausendfach hohe Entschädigungen durchgesetzt und eine Erfolgsquote von nahezu 100 Prozent.
FIRMENWAGEN: Welchen Vorteil haben Fuhrparkbetreiber, die über eine größere Flotte an manipulierten VW-Fahrzeugen verfügen, gegenüber jenen, die nur über sehr wenige Fahrzeuge verfügen, wenn diese gegen den Wolfsburger Konzern vor Gericht ziehen?
Claus Goldenstein: Grundsätzlich sollte jeder, der ein manipuliertes Fahrzeug besitzt, seine Rechte im Dieselskandal geltend machen und sich gegen diesen Betrug wehren. Die betroffenen Pkw haben massiv an Wert verloren und ein Verkauf rentiert sich nur in den seltensten Fällen. Fuhrparkbetreiber haben natürlich den Vorteil, dass sie die Schadensersatzansprüche von mehreren Fahrzeugen gleichzeitig durchsetzen können. Dadurch ist es ihnen möglich, schnell extrem hohe Schadensersatzansprüche durchzusetzen, ohne einen hohen Aufwand zu haben.
FIRMENWAGEN: Die andere Frage ist, ob Diesel-Besitzer auch dann Ansprüche gegen den Konzern haben können, wenn sie ihr Auto erst nach Auffliegen des Dieselskandals im Herbst 2015 gekauft haben.
Claus Goldenstein: Diese Detailfragen hat der Bundesgerichtshof bereits geklärt. So entschieden die Karlsruher Richter Ende Juli, dass die Halter von manipulierten VW-Dieselfahrzeugen keinen Schadensersatz durchsetzen können, wenn sie ihren Pkw erst nach dem Bekanntwerden des Dieselskandals Ende 2015 gekauft haben. Damals hatte VW die Öffentlichkeit in Form einer ad hoc-Meldung über die Fahrzeugmanipulation informiert. Betroffene Pkw-Besitzer können sich dennoch Hoffnungen auf Entschädigungen machen. Es gibt ein Schlupfloch: Ende April hat die Generalanwaltschaft des Europäischen Gerichtshof in einem Schlussantrag verkündet, dass sämtliche Fahrzeugfunktionen als illegale Abschalteinrichtungen gelten, wenn diese im Realbetrieb zu einem höheren Abgasausstoß führen als auf dem Prüfstand.
Zahlreiche Tests haben ergeben, dass die manipulierten VW-Dieselfahrzeuge nach der Durchführung des verpflichtenden Software-Updates nur bei bestimmten Temperaturen tatsächlich sauber sind. Auch im Rahmen des Software-Updates von VW wurde also eine Abschalteinrichtung integriert. Dieses sogenannte Thermofenster unterscheidet sich jedoch von der ursprünglich verwendeten Manipulationssoftware und gilt bislang offiziell als nicht illegal. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Richter des Europäischen Gerichtshof der Rechtsauffassung der Generalanwaltschaft in ihrem baldigen Urteil folgen werden. Dieses wird noch in diesem Jahr erwartet.
Dann würden auch die Software-Updates in der gesamten Europäischen Union als illegal erklärt werden. Betroffene Halter von VW-Fahrzeugen könnten ihre Rechte demnach durchsetzen, obwohl sie ihren Pkw erst im Jahr 2016 oder sogar später gekauft haben. Mehrere Millionen VW-Fahrzeuge mit dem Software-Update müssten dann noch einmal zurückgerufen werden. Spannend ist, dass das Oberlandesgericht Wien die Software-Updates von VW bereits im vergangenen Jahr als mangelhaft bewertete.
FIRMENWAGEN: Der deutsche Bundesgerichtshof hat erst kürzlich verhindert, dass geschädigte VW-Diesel-Käufer zum geschuldeten Schadenersatz noch Deliktzinsen für die Zeit seit Kauf des Autos erhalten. Konnten die Kläger nicht damit rechnen?
Claus Goldenstein: Auch zum Thema Deliktzinsen haben sich die BGH-Richter geäußert. Diese Zinsen in Höhe von vier Prozent auf den Auto-Kaufpreis ab dem Kaufdatum können Klägern im Fall von Betrug oder sittenwidriger Handlung juristisch zugesprochen werden. Der Bundesgerichtshof bestätigte, dass Volkswagen Verzugszinsen an Dieselskandal-Kläger zahlen muss. Dies war bereits seit unserem BGH-Urteil klar. Das Gericht entschied jedoch, dass VW keine Deliktzinsen auszahlen muss. Verzugszinsen unterscheiden sich von Deliktzinsen, da Erstere erst ab dem Zeitpunkt des Verzuges gelten, dafür aber fünf Prozent über dem Basissatz betragen.
Bereits im Vorfeld sprach nur wenig dafür, dass die Karlsruher Richter den Haltern von manipulierten Dieselfahrzeugen Deliktzinsen zusprechen werden. Dies deuteten die obersten Richter bereits im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in der vergangenen Woche an. Deliktzinsen werden üblicherweise nur dann fällig, wenn ein Gegenstand aufgrund eines Betruges oder einer sittenwidrigen Handlung nicht genutzt werden konnte, obwohl dafür bezahlt wurde. Das ist im Dieselskandal nur bedingt der Fall.
FIRMENWAGEN: Nicht nur VW wird Manipulation vorgeworfen, auch Daimler. Hat der BGH bereits die Legalität der Abschalteinrichtungen bei Mercedes-Benz bewertet?
Claus Goldenstein: Tatsächlich stehen sogar nahezu sämtliche Hersteller von Dieselfahrzeugen im Verdacht, ihre Pkw manipuliert zu haben und offen gesprochen: Das ist mehr als nur ein Verdacht. Der BGH wird sich noch im Oktober dieses Jahres mit dem Daimler-Dieselskandal auseinandersetzen. Viel wichtiger wird jedoch die bereits angesprochene Entscheidung des EuGH sein. Sollten die verantwortlichen Richter Diesel-Abschalteinrichtungen generell für illegal erklären, wovon sämtliche Rechtsexperten ausgehen, würde der Dieselskandal nicht nur VW und Daimler, sondern auch zahlreiche weitere Hersteller betreffen.
In der Folge würden Millionen Fahrzeuge in ganz Europa zurückgerufen werden – auch in Österreich. Wer ein Dieselfahrzeug besitzt, sollte sich daher unbedingt bereits jetzt bezüglich seiner Rechte beraten lassen. Nach dem EuGH-Urteil werden die Prozesse im Dieselskandal aufgrund der möglichen Klagewelle nämlich wahrscheinlich länger dauern. Daher ergibt es Sinn, sich frühzeitig juristisch beraten zu lassen. Gern stehen wir von Goldenstein & Partner dafür kostenfrei zur Verfügung.
FIRMENWAGEN: Herzlichen Dank für das Gespräch.