Wirtschaftskrimi : Was wurde eigentlich aus Carlos Ghosn?
Es ist ein wahrer Krimi, rund um den einstigen Nissan-Renault-Allianz-Chef, der im Besitz der libanesischen, brasilianischen und französischen Staatsbürgerschaft ist und mehrere Sprachen fließend spricht. Begonnen hat die Karriere des mittlerweile 67-jährigen beim französischen Reifenhersteller Michelin, wo er sich bis 1990 zum Chef von Michelin North America hocharbeitete. 1996 machte er den Sprung vom Reifen zum Automobil und engagierte sich beim damals angeschlagenen Autobauer Renault. Ghosn verfolgte dabei stets die Philosophie „Masse statt Klasse“. Diese Denke fand sich auch in seinen Restrukturierungsmaßnahmen wieder, die erste Wirkungen zeigten. Nur ein Jahr später rutschte Renault wieder in schwarze Zahlen. 1999 stellte Ghosns Vorgänger, Louis Schweitzer, eine Allianz zwischen Renault und Nissan auf die Beine. Dieses Verhältnis sollte später eine besondere Rolle für Ghosn spielen.
Ghosn sollte Sanierungsauftrag erfüllen
Carlos Ghosn wurde nach Japan entsandt, um den ebenfalls schlecht dastehenden Allianzpartner zu sanieren. Anfang der 2000er ging es Schlag auf Schlag: Er wird in die Vorstandsetage berufen, ab 2005 hat er nach Schweitzer zusätzlich die Funktion des Renault-Vorstandschefs inne. Sein Aufstieg setzte sich fort: 2016 wurde Ghosn zusätzlich Vorsitzender des Verwaltungsrats von Mitsubishi Motors. Im April 2017 wechselte Ghosn dann in den Nissan-Verwaltungsrat, um sich auf die Allianz-Geschäfte zwischen Mitsubishi und Renault zu konzentrieren. Das Drama um seine Person nahm seinen Lauf.
Nur ein Jahr später klopfte die japanische Behörde an die Tür seines japanischen Wohnsitzes und entfesselte einen Veruntreuungsskandal, den es medial lange nicht mehr in dieser Form gegeben hatte. Der schwere Vorwurf gegen seine Person: Ghosn habe seine privilegierte Stellung ausgenutzt und Nissan-Gelder für Privatangelegenheiten veruntreut sowie allerhand andere Verstöße gegen japanisches Recht begangen. Der Manager sah sich als Ziel einer Verschwörung und inszenierte sich so vor der Öffentlichkeit. Eine reine Abwehrreaktion oder die Wahrheit? Ghosn wirkt nicht nur selbstherrlich, sondern auch selbstsicher: Nach seiner Absetzung reichte er in den Niederlanden sogar Klage gegen die beiden japanischen Renault-Allianzpartner Nissan und Mitsubishi ein. Es ging um eine angeblich missbräuchliche Beendigung seines Arbeitsvertrags. Der geschasste Automanager forderte Schadenersatz in Höhe von 15 Millionen Euro als Wiedergutmachung.
In einer Kiste in den Libanon geflohen
Doch alles half nichts. Ghosn musste die japanischen Rechtsverfahren über sich ergehen lassen. Mehrmals wurde Ghosn, der seine Stellung bei Nissan und Mitsubishi los war, unter Verdacht von den japanischen Behörden festgenommen. Damit hätten die Staatsanwälte die Möglichkeit, dem Gericht mehr belastendes Material vorzulegen oder Ghosn für haftunfähig zu erklären. Trauen wollte man ihm nicht, es wurde sogar Untersuchungshaft gegen ihn verhängt. Erst ein Gericht in Tokio gab einem Antrag des Inhaftierten auf Freilassung gegen eine millionenschwere Kaution statt. Doch so richtig war der Manager trotz all der Anschuldigungen nicht greifbar – und das sollte auch so bleiben. In einer abenteuerlichen Nacht-und-Nebel-Aktion floh Ghosn - höchst wahrscheinlich in einer Kiste versteckt - im Dezember 2019 per Privajet in den Libanon.
Dazu wollte er vor laufender Kamera während einer einberufenen Pressekonferenz in Beirut jedoch nichts sagen: Auf seiner Flucht aus Japan hat der ehemalige Manager jedenfalls den Schnellzug von Tokio nach Osaka im Westen des Landes genommen. Er sei in Begleitung mehrerer Menschen gewesen, berichtete ein japanischer Fernsehsender. Am Abend des 29. Dezembers sei Ghosn in Osaka in ein Taxi gestiegen, um zu einem Hotel in der Nähe des Flughafens Kansai zu fahren. Von dort flog er vermutlich mit einer Zwischenlandung in Istanbul nach Beirut.
Sollte Ghosn bewusst verschwinden?
"Ich bin vor Ungerechtigkeit geflohen", sagte der Ex-Automanager vor laufender Kamera. Ein faires Rechtsverfahren habe er seinen Angaben zufolge in Japan nicht erfahren. Bewusst soll sogar versucht worden sein, das Gerichtsverfahren in die Länge zu ziehen, kritisiert Ghosn. "Du wirst in Japan sterben, oder du musst von dort wegkommen", so der ehemalige Chef des Verwaltungsrats. Seine Verhaftung sei zudem von langer Hand geplant gewesen. "Ich habe einen Autokonzern gerettet, der zuvor im 'Schmutz' lag", sagte Ghosn lautstark. Seine Festnahme sieht er als "Schande". "Wieso hat Japan mir das angetan", monierte Ghosn. Gegenüber einem Interviewer sagte er, dass er als nächstes seinen Ruf, vom Libanon aus, wiederherstellen will.
Kritiker am Vorgehen gegen den geschassten Konzernchef werfen den Japanern vor, bewusst gegen ihn intrigiert zu haben und eine weitere Annäherung zwischen Renault und Nissan – und damit eine Fusion - zu verhindern. Ghosn sagte diesbezüglich: "Ich wollte immer, das Renault und Nissan eigenständig bleiben.“ Die Vorkommnisse rund um seine Person riefen eine UN-Arbeitsgruppe auf den Plan, die im November 2020 die Untersuchungshaft des früheren Chefs der Automobilgruppe Renault-Nissan-Mitsubishi in Japan als "Freiheitsberaubung" bezeichnet. Damit seien mehrere Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verletzt worden, wie aus der in Genf veröffentlichten Einschätzung der Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen hervorgeht.
Fest steht, Ghosn muss Hilfe von Fluchtexperten erhalten haben. Mittlerweile konnte Japan zweier mutmaßlicher Fluchthelfer habhaft werden, die durch die USA ausgeliefert wurden. Der ehemalige US-Soldat Michael Taylor und sein Sohn Peter Taylor werden beschuldigt, Ghosn bei seiner Flucht am 29. Dezember 2019 aus Japan in den Libanon geholfen zu haben. Während sich die angeblichen Fluchthelfer der japanischen Staatsanwaltschaft stellen müssen, sitzt Ghosn in Sicherheit, denn der Libanon hat kein Auslieferungsabkommen mit Japan, ebenso wie Frankreich.
Was bleibt sind die erdrückenden Vorwürfe der japanischen Staatsanwaltschaft gegen Ghosn. Auch Nissan hat den früheren Manager in Zwischenzeit zivilrechtlich wegen seines vorgeworfenen Fehlverhaltens auf Schadenersatz in Millionenhöhe verklagt. Es soll dabei um 10 Milliarden Yen (83 Millionen Euro) gehen.
Die Krise hat Spuren hinterlassen, Aufräumarbeiten nötig
Schon nach der Verhaftung Ghosns geriet das von ihm geschaffene und kontrollierte französisch-japanische Autobündnis zwischen Renault, Nissan und Mitsubishi in eine Führungskrise. Renault hielt bis zuletzt an seinem Manager fest, in Frankreich konnte Ghosn nichts nachgewiesen werden. Es war letztlich seine eigene Entscheidung die Funktionen bei Renault niederzulegen. Zwar wurden heuer die Fusionsbestrebungen zwischen Renault und Nissan komplett auf Eis gelegt. Jedoch sollen weiterhin Synergien genutzt werden. In Österreich werden zum Beispiel zwei Mitsubishi-Modelle erscheinen, die auf Renault-Plattformen basieren.
Das Ziel: Massive Kosteneinsparungen bei allen drei Konzernen der Allianz. Eine „Renaulution“ mit Ghosns Nachfolger Luca De Meo soll bei Renault den positiven Wandel bringen. De Meo diktiert hierzu ein eisernes Sparprogramm. Die einstige Ghosn-Ära ging schlagartig zu Ende, der Veruntreuungsskandal muss nun komplett abgeschüttelt werden und die Aufräumarbeiten so richtig beginnen. Eine französische Produktionsfirma nützt nun die Gunst der Stunde, um eine Mini-Serie über den Franko-Libanesen herauszubringen. Auch hier soll es weder ein Schuldig noch ein Unschuldig geben, gab der Regisseur bekannt.
Juristisch gesehen gilt jedenfalls die Unschuldsvermutung, auch wenn sich der Fall vermutlich nie restlos aufklären wird.