Prototyp : Heiße Reifen auf der schnellsten Teststrecke der Welt

© Porsche

Am 4. September präsentiert Porsche den rein batterieelektrisch betriebenen Taycan. Zuvor wurde ein Prototyp des Supersportwagens einer besonderen Belastungsprobe unterzogen. Bei einem Testlauf auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke im süditalienischen Nardò (Apulien) legte das Fahrzeug exakt 3.425 Kilometer innerhalb von 24 Stunden zurück.

Das entspricht in etwa der Fahrstrecke von Nardò ins norwegische Trondheim. Die Außentemperaturen lagen bei unglaublichen 42 Grad Celsius in der Spitze, die Temperatur des Asphalts erhitzte sich auf bis zu 54 Grad Celsius. Die Fahrgeschwindigkeit bei der Hitzeschlacht auf dem süditalienischen Testgelände lag zwischen 195 und 215 Stundenkilometern.

Die Auflagen, die es zu erfüllen galt, waren hart. Gefahren wurde ohne Unterbrechung, anhalten musste der Vorserien-Taycan lediglich für schnelle Ladestopps und Fahrerwechsel. Das Team setzte sich aus sechs Porsche-Testfahrern zusammen.

Millionen Erprobungs-Kilometer geplant

Bevor der Taycan serienreif wird, sollen weltweit über sechs Millionen Erprobungs-Kilometer zurückgelegt werden. „Das Ergebnis in Nardò unterstreicht bereits die Vorteile der 800-Volt-Technologie sowie deren hohen Reifegrad“, freut sich Baureihenleiter Stefan Weckbach. Der strapaziöse Langstreckenlauf verlief problemlos. Der Taycan wird das erste rein elektrisch betriebene Serienfahrzeug der Zuffenhausener, das mit einer Systemspannung von 800 Volt zur Marktreife geführt wird.

Mit eben dieser Technologie schaffte es der Porsche 919 Hybrid dreimal hintereinander, das 24-Stunden-Rennen von Le Mans zu gewinnen. Angaben des Herstellers zufolge ermöglicht die 800-Volt-Technologie eine hohe Dauerleistung, reduziert die Ladedauer und verringert Gewicht und Bauraum der Verkabelung. Beim Dauerlauf des Taycan-Prototyps im Nardò Technical Center kamen auch die 800-Volt-Hochleistungsladesäulen der Porsche Engineering Group zu Einsatz.

Bewährt hat sich in Nardò das ausgeklügelte Thermomanagement des Taycan. In seinem Zentrum steht ein effizientes System zur Kühlung und Erwärmung der Hochvoltkomponenten. Das beugt möglichen Leistungsverlusten wegen zu starker Hitzeentwicklung vor und sorgt dafür, dass beim Erreichen der Ladesäule die optimale Temperatur für einen möglichst effizienten Ladevorgang vorliegt.

Mit dem Taycan sollen gleich mehrmals hintereinander Blitzstarts möglich sein. 26 Mal hintereinander wurde Ende Juli ein Vorserienfahrzeug auf einem Flugplatz aus dem Stand von null auf 200 Stundenkilometer beschleunigt. Als Durchschnitt der Messfahrten ergab sich ein Beschleunigungswert von unter zehn Sekunden. Die Differenz zwischen schnellster und langsamster Beschleunigung lag bei 0,8 Sekunden.

Eine Hochgeschwindigkeitsstrecke mit Geschichte

Das Nardò Technical Center feierte im Jahr 2015 ihr 40-jähriges Bestehen. Die weltweit einzigartige Kreisbahn für Hochgeschwindigkeiten mit einer Länge von 12,6 Kilometern sollte die Forschungs- und Entwicklungsprozesse verbessern, indem Fahrzeuge unter extremen Bedingungen getestet werden.

Nardò besitzt mehr als 20 Teststrecken sowie Prüfeinrichtungen auf einer Fläche von über 700 Hektar, zählt 90 Unternehmen der Automobilbranche zu seinen Kunden und beschäftigt mehr als 150 Mitarbeiter. Seit 2012 wird das Testgelände von der Porsche Engineering Group betrieben. Das Testzentrum wurde 1975 mit dem Bau des ikonischen Rundkurses gegründet und bietet umfangreiche Möglichkeiten zur Durchführung von Versuchen für jede Entwicklungsphase.

Die Hochgeschwindigkeits-Rundstrecke wurde erbaut, um Fahrzeuge unter extremen Bedingungen testen zu können und Entwicklungsprozesse effizienter zu gestalten. Mitte Juli 2015 wurde ihre Renovierung erfolgreich abgeschlossen und unter anderem ein innovatives Schutzplankensystem installiert, das von Porsche Engineering speziell für die Hochgeschwindigkeits-Erprobung in Nardò entwickelt wurde. Zu den Arbeiten gehörte auch die komplette Renovierung der 106.000 Quadratmeter großen Fahrdynamik-Fläche.

Nardò bietet einen klaren Vorteil für die Automobilhersteller: Dank des milden Klimas lassen sich dort quasi an 365 Tagen im Jahr Sportwagen erproben. Die Idee des Testzentrums als „Gesellschaft für Automobilteststrecken Nardò“ (Società Autopiste Sperimentale Nardò) wurde 1975 von Fiat in die Realität umgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt existieren der Rundkurs mit Bahnen für Personen- und Lastkraftwagen sowie eine Personenkraftwagen-Dynamikfläche. Sieben Jahre später folgt der Ausbau um eine Dynamikfläche für Lastkraftwagen.

Abgeschiedenheit und strenge Geheimhaltungsvorkehrungen

Im Jahr 1999 übernahm die italienische Prototipo-Gruppe das Prüf- und Testgelände und erweitert Nardò um insgesamt 5.000 Quadratmeter neue Werkstatt- und Büroflächen, um der steigenden Kundenzahl gerecht zu werden. 2002 und 2008 folgten dann weitere Teststrecken zur Erprobung von Fahrkomfort und Geräuschentwicklung sowie eine Handling-Strecke, der auf einer Länge von 6,2 Kilometern einzelne Kurven der Nordschleife am Nürburgring nachempfunden sind.

Nardò genießt seinen legendären Ruf auch aufgrund der Abgeschiedenheit und der strengen Geheimhaltungsvorkehrungen. Für die Automobilhersteller sind die nahezu unbegrenzten und effizienten Testmöglichkeiten entscheidend. Binnen weniger Wochen lassen sich zum Beispiel Aussagen zur Korrosionsfestigkeit über den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs machen oder klimatische Bedingungen unterschiedlicher Länder und Regionen nachbilden - ob afrikanische Offroad-Piste oder auch bei Sonnenschein regenasse Straßenflächen. Zusätzlich werden zeitaufwendige Anlieferwege und hohe Transportkosten vermieden, da die flexiblen Testmöglichkeiten der Strecken den Entwicklern eine große Bandbreite an Erprobungen an ein und demselben Ort ermöglicht.

Schnellster Automobilrundkurs der Welt

Geschichte hat das Nardò Technical Center auch auf der Ringstrecke geschrieben, die mit einem Durchmesser von vier Kilometern und einer Streckenlänge von 12,6 Kilometern bis heute als schnellster Automobilrundkurs der Welt gilt. Sie bildet die Grundlage für zahlreiche Rekorde unterschiedlicher Kraftfahrzeughersteller. Den Beginn machte Mercedes-Benz mit dem C111-IV, der 1979 zum ersten Mal mit exakt 403,978 Stundenkilometern die Grenze von Stundenkilometern durchbricht. Der ARVW (Aerodynamik Research Volkswagen) stellt 1980 gleich sechs Klassenrekorde und zwei Weltrekorde in Sachen Geschwindigkeit auf der Strecke in Nardò auf.

Porsche sorgt 1982 mit einem 928 S für einen 24-Stunden-Rekord. Der damals revolutionäre Porsche mit Frontmotor und Schaltgetriebe an der Hinterachse legt 6.033 Kilometer in einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 251,4 Stundenkilometer zurück. Mehr als zehn Jahre danach lieferte Porsche einen eindrucksvollen Beweis für die sogenannte Transaxle-Bauweise: Mit einem serienmäßigen Porsche 928 GTS legt ein österreichisches Privatteam 1993 in Nardò in 24 Stunden 6.377 Kilometer zurück und realisiert einen Schnitt von über 265 Stundenkilometern. Überboten wird dieser Rekord erst 2002 von dem Volkswagen-Konzeptauto „W12 Nardò“, das bis heute insgesamt sieben Weltrekorde hält, unter anderem den 24-Stunden-Entfernungs- und Geschwindigkeitsrekord mit 7.741 Kilometern in einer Durchschnittsgeschwindigkeit von fast 323 Stundenkilometern.

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